4.8.2 Der grosse Bluff

Roger Schawinski tönt im Tages-Anzeiger vom 16.6.30 im Hinblick auf sein neues Buch zur Schweizer Börsenblase auch den Aufstieg und Fall der Firma Think Tools bzw. die Verwicklung von des «Mr. Venture Capital Switzerland» Peter Friedli an; nicht etwa Altbundesrat Flavio Cotti. Friedli brachte mit New Venturetec 1997die erste Firma für Risikokapital an die Schweizer Börse. Ihr Kurs stieg in den dreissig Monaten nach dem Börsengang um 500 Prozent, und erreichte eine Börsenkapitalisierung von 2.5 Milliarden Franken, womit er auch damaligen Boomenden klar Klassenbester war; 2003 fiel das auf 20 Millionen

Sein Vater arbeitete als Handwerker in der Papierfabrik Biberist, seine Mutter zog die vier Kinder auf. Kurz vor der Matura im Jahr 1971 fuhr er mit dem Orientexpress nach Delhi. Dann schloss er die Schule mit Bravour ab. An der Universität hielt es Peter Friedli nicht lange aus. Die Vorlesungen über Wirtschaft langweilten ihn, und daher flog er kurz entschlossen in die USA und suchte sich dort einen Job in einer Unternehmensberatungsfirma. Nach seiner Rückkehr begann er mit dem wenigen verdienten Geld in junge Firmen zu investieren, wo er auch mit kleinem Einsatz mitmischen konnte. Und damit hatte er seine Mission gefunden.

Schnell hatte er seine Geschäftsprinzipien definiert: Er würde nur in den USA investieren. Dort gab es Milliardenmärkte mit gewaltigem Wachstumspotenzial. Dort bestand auch die richtige Unternehmermentalität, die lukrative Erfolgsstorys erst möglich machte. Und dort hatte er als Risikokapitalist bessere Bedingungen. In der Schweiz hingegen machte er bald einmal die Erfahrung, dass es an Unternehmern fehlt,  die ihr eigenes Geld riskieren und für ihre Firma ihr Letztes geben. Eiserne Prinzipien Peter Friedli ging immer gleich vor. Zuerst nahm er das Management einer Firma unter die Lupe. Und das andere: Das Produkt musste gut sein und einen Markt haben. «Ich gewichte aber die Leute mit 80 bis 90 Prozent», sagte er in einem Interview.

Aus seinen Storys sind inzwischen von den Medien Legenden gewoben worden: Der einsame Venture-Capital Sheriff, der im wilden Internetland mit seinem Colt die heimtückischen Geldverschwender zur Strecke bringt. War das nicht ein Beweis für absolute Seriosität? Er fokussierte sich damit auf die vier Bereiche Bio-, Kommunikations- und Computertechnologie sowie aufs Internet. Als der Nasdaq-Index in immer fantastischere Höhen emporschoss und vor allem die Dotcom-Firmen mit jedem Tag höher bewertet wurden, war er mit seinem Portefeuille optimal positioniert.

Am World Economy Forum 1999 hatte Peter Friedli ein Aha-Erlebnis der besonderen Art. Er setzte sich in eine Präsentation eines Experten von Goldman Sachs, der das neue Bewertungsmodell für Firmen der New Economy vorlegte. Ab jetzt gelte als Grundsatz zur Bewerturig der Umsatz pro Aktie (revenue per share), wurde er belehrt, und nicht mehr wie bis anhin der Gewinn pro Aktie (earnings per share). Dabei wurde es absolut unwichtig, ob die Firma einen Verlust oder einen Gewinn erwirtschaftet wie etwa bei Amazon.com. Das ging bis hin zur Bewertung nach dem in Zukunft zu erwartenden Umsatz: Wer den Umsatz schnell zu erhöhen verspricht, war ein Winner, alle anderen war damals uninteressant. Dabei ist es, wie dies Leute wieder auf die harte Art lernen mussten, absolut unwichtig, ob die Firma einen Verlust oder einen Gewinn erwirtschaftet. Daran entscheidet sich ob man die allein entscheidende Marktposition selbst halten kann oder nicht.

Er sei sich blöd vorgekommen, erzählt Peter Friedli. «Ich sagte mir: Friedli, jetzt begreifst du etwas nicht mehr richtig; du musst dieses neue Prinzip lernen, sonst verpasst du den Anschluss. Die ganze Welt dreht sich so, also musst du mitmachen.» Und so setzte er ohne Zögern seine ganze Erfahrung und selbst seinen gesunden Menschenverstand ausser Kraft und wurde zu einem Gläubigen der neuen Lehre. Dies waren die neuen Naturgesetze, welche die New Economy diktierte - Punkt. Dass es die pure, hirnlose Hysterie sein könnte, nichts als eine Fiktion, die bald einmal platzen musste, daran dachte er nicht eine Sekunde lang.

In dieser Phase kam Think Tools – und es wurde der grösste Hype der Schweiz, lanciert am absolut höchsten Punkt. Für Peter Friedli war der Gründer dieser Firma, ein gewisser Dr. Albrecht von Müller aus Deutschland, in nichts aussergewöhnlich. Er war es gewohnt, dass an der Spitze eines solchen Projekts jemand mit einer fantastischen Idee steht, die er mit aller Inbrunst verteidigt, auch wenn er dabei nicht immer auf dem Boden der Realität operiert. Entscheidend war für Friedli hingegen, dass er seine Partner Leute hatten, die nach klaren Managementgrundsätzen arbeiteten, und so einer schien Think-Tools-CEO Marc-Milo Lube zu sein, ein Absolvent der Hochschule St. Gallen mit Praxis in der internationalen Consultingfirma Arthur D. Little. Die Idee von Think Tools, mit wissenschaftlichen Methoden Entscheidungsprozesse zu steuern, passte perfekt zum damaligen Zeitgeist. Ähnlich ambitionierte Projekte gab es überall, und es kam nur darauf an, von Beginn weg bei einem potenziellen Winner dabei zu sein.

Tatsache war, Think Tools hatte 1999 wohl einige Consultingaufträge, aber noch kein Softwareprodukt, mit dem man auf dem Markt auftreten konnte. Trotzdem planten von Müller und seine Leute bereits den Gang an die Börse, was damals nicht unüblich war. Man nannte dies «Concept IPO». An Stelle einer Firmengeschichte mit vielen Daten über Gewinne und Wachstum genügte bereits eine viel versprechende Idee.

Als es um die Bewertung der Firma ging soll Friedli gemäss Schawinski Albrecht von Müller gefragt haben, welches denn die Grundlagen der Firmen-Fürsorge seines Grossaktionärs KIaus Schwab einer der Topstars mit einer ähnlich grossen und verehrenden Gefolgschaft wie Bill Gates von Microsoft. Der streckte ihm ein Schreiben mit der Bewertung seiner Firma von 100 Millionen Dollar hin; Friedli stieg mit 9 Millionen ein und von Müller offerierte ihm ein Sitz im Verwaltungsrat. Nachdem Schwab von Müller als Topstar am WEF 2000 eine Präsentationen von Think Tool möglich gemacht hatte; per Fernsehen live in alle Davoser Hotels, rief «Hampi» Bachmann, wie der Vontobel Mann überall genannt wurde, seinen Chef Jörg Fischer an, der ebenfalls in Davos war: «Und, hast du verstanden, was der gesagt hat, um was es bei Think-Tools wirklich "geht?» - «Du also auch nicht», antwortete der, «aber es war sicher eindrücklich, wie er auftrat

«Wir haben bei uns in der Bank darüber diskutiert, ob von Müller ein Hochstapler sei», erzählt Bachmann. «Und wir waren geteilter Meinung. Ich habe geglaubt, dass er es macht. Er war gebildet, hochintelligent und ein absoluter Spitzenverkäufer. Und er war anständig.» Irgendwie waren sich die zwei, von Müller und Bachmann, in vielem ähnlich. Beide waren sie virtuos, wenn es darum ging, andere zu überzeugen. Ausserdem hatte man einen ähnlichen Lebensstil gewählt, der sehr viel Zeit auf einem Boot unter gleissender Sonne einschloss.

Der Nasdaq erreichte schliesslich am 9. März 2000 seinen absoluten Höchst- stand von 5046 Punkten erreichte. Allein in den vier Monaten davor hatte er 2000 Punkte oder 70 Prozent zugelegt. Bis zehn Tage vor dem Think- Tools-IPO am 24. März verlief alles normal. Think Tools war nur einer von 14 IPOs, bei denen Vontobel im Jahr 2000 mitmischte. Besonders war nur das unüblich kleine Budget für PR und Werbung. «Wir können uns das Geld sparen», erklärte von Müller dem IPO- Team. «Ich habe besonders gute Beziehungen zu Ringier. Wir bringen das dort im redaktionellen Teil unter.» So gelang es von Müller und der Bank Vontobel mit perfekten Shows (auch unter Instrumentalisierung von Altbundesrat Flavio Cotti - einem der Paten des Collegium Helveticums ) und perfektem Timing, die Aktien der Think Tool über ihre eigenen Erwartungen von 270 Franken pro Aktie auf 1300 Fr. hochzutreiben.

Da sprach selbst Hampi davon dass die alle spinnen - Die Vontoble Bank verdiente damit 21.3 Millionen Franken an einem Tag. Bei der Börsengangparty herrscht Euphorie pure,  gemäss Tages-Anzeiger war es wie ein Ball der Raubtiere,  die sich an ihrem Erfolg über die unermesslich grosse Herde wehrloser Gazellen  berauschten. Think Tool war damals mit 2.5 Milliarden Franken bewertet, Albrecht von Müller 1.4 Milliarden schwer. Für Peter Friedli war das bei Champagner der erfolgreichste Börsengang; mit seinem Riecher, das erste Investment in der Schweiz. Dazu Müller damals: «Einstein hat schliesslich auch allein an der Relativitätstheorie gearbeitet.» Und er die Bedeutung seiner (gar nicht wirklich existierenden) Software mit der Erfindung der Dampfmaschine verglich, lachte ihn niemand aus oder nannte ihn einen Scharlatan, der sich schleunigst zum Teufel scheren solle. Im Gegenteil. Im total verrückten März 2000 rannten daraufhin noch mehr Leute zu ihrer Bank, um sich Think-Tools-Aktien zu sichern. «Finanz- und Wirtschaft» schrieb als Aufmacher «Think Tools zu billig verkauft», Friedli wurde tatsächlich Fehlverhalten vorgeworfen, weil er deren Aktien zu billig verkauft habe. Die übrige Presse blökte mit, da überkam Friedli ein schales Gefühl. Doch von Müller liess sich auf seiner Jacht im tiefblauen Wasser von Antibes auf seiner in der «Schweizer Illustrierte» ablichten und liess verkünden, sein Tageshonorar betrage 100'000 Dollar. Der Journalisten Harry Bredies würdigte ihn als «Meister des Understatements» und unterstrich damit seine Glaubwürdigkeit als «genialer Denker» und «blitzgescheiten Philosophen». Hampi Bachmann rief in Antibes an: «Albrecht, das kommt nicht gut», sagte er ihm: «Das sind die falschen Zeichen». Von Müller liess sich nicht beirren und kündigte das baldige «Zünden der den zweiten Stufe» und sechs Joint Ventures an, um so die Erwartungen noch weiter hochzuschrauben.

Doch am höchsten Punkt der Bubble endet das blinde Kaufen; langsam begannen sich Investoren um etwas zu kümmern, das sie sehr lange vernachlässigt hatten: Profitabilität. Die terminale Phase der Selbstzerstörung auf sich bezogener Systeme hatte begonne. Nun ist Roger Schawinsiki wohl am höchsten Km-Punkt mit dem Marketing um sein Buch «Wer wird Milliardär?», das der Marathonläufer inklusive Recherchen und Interviews der Akteure in einem halben Jahr geschrieben hatte. Angeblich soll damit die Börsenhype und seine Macher so erklärt werden, das klar wird wie es in den Jahren 1998 bis 2001 auch in der Schweiz zu einer kollektiven Internethysterie kam und wie die davon angetriebene gigantische Börsenblase schliesslich platzte. Er selbst habe sich schon damals gefragt, wie ein solcher Hype überhaupt möglich sei, umreisst Schawinski die Beweggründe, nach einem Buch über sich selber ( «Das Ego-Projekt», 2002) und einem über die Medienbranche («TV-Monopoly», 2002). Bestärkt in der Absicht habe ihn die Tatsache, dass nach dem Platzen der Blase 2001 auf einen Schlag «Totenstille» geherrscht habe. Auch die Medien, die zuvor beim Hype kräftig mitgewirkt hatten, hätten dann vornehmlich geschwiegen.

«Analysiert und hinterfragt worden ist das alles bis heute nicht», sagt Schawinski. Für den Schweizer Teil der Hysterie schaffe er Abhilfe, indem er das Gebaren einzelner wichtiger Akteure (Banken, Spekulanten, Journalisten, Trittbrettfahrer) detailliert recherchiert und nacherzählt. Respektlos wie immer nenne Schawinski die Verantwortlichen beim Namen und geize nicht mit entlarvenden Details. «Es ging mir darum, die wahre Geschichte dieser Hysterie zu erzählen » , sagt er, der sich selber als lang gedienten Internetskeptiker bezeichnet - als einen jedoch ohne Illusion: «Natürlich», sagt er, «ein solcher Hype ist immer wieder möglich», und lässt das alles von Tages-Anzeiger berichten und spart damit wie von Müller, Werbekosten für sein Buch:

Wer also auch abzocken will macht das ganz so wie die postnormalen Intellektuellen,  die sich in Namen einer modernen Universität, die sie ja mit ihre Aktivitäten, sich postnormal zu positionieren, geistig unterwandern.  Doch vordergründig verstehen sie es über so genannte Forschungsbudgets, Bundesbeiträge an Kommissionen à la Bergier, an die Expo.02 und Friedensförderung, Professorengehälter und an andere Pfründen heranzukommen. Schliesslich geht es in ihrem Fach ja darum, ihre Worte Wirklichkeit werden zu lassen;  genauso vergolden sich Manager ihr angebliche Risiken, die sie mit der Übernahme ihrer angeblichen Verantwortung, die ja meist nur Schönrede an den jährlichen Rituals der Aktionärsversammlung ist, eingehen. Dieses Spiel hat der Schweiz nach vorsichtigen Schätzungen mehr als die Summe des Bruttonationalproduktes 2000 von 350 Milliarden Franken gekostet. Der Schweizer Managementguru Prof. Edmund Malik von der ehemals Handelshochschule genannten Universität St. Gallen macht virtuos vor, wie man die selbst hoch gelobten Trends von gestern verunglimpflichend, neue, und damit sich ins Szene setzen kann. Wie man da noch 1% Wirtschaftswachstum prognostizieren kann, bleibt eines der schöngeredeten postnormalen Rätseln, welches die Wirtschaftswissenschaft in den Graubereich der Schwatz- und Schwarzkunst rückt. Inzwischen bestimmen deren konfuse Signale  Politik und Wirtschaft auf ihrer finanz-politischen  Geisterfahrt.