4.9.3 Pädagogik

«Alles nur Gender» Biologie oder gesellschaftliche Prägung? Die Geschlechter-Debatte sorgt weiterhin für Zündstoff. So auch in FACTS

Gemäss Charlotte Müller, Direktorin des Instituts für Lehrer- und Lehrerinnenbildung der Universität und des Kantons Bern in Spiez ist der Anteil der Männer unter den Studierenden ihres Instituts ungefähr acht Prozent. Es sei ja kein Zufall, dass der Lehrberuf in Zeiten, da er sehr negativ konnotiert und auch schlecht bezahlt ist, für Männer nicht attraktiv ist. Doch mit dem Fehlen männlicher Lehrkräfte an der Basis werden deren männliche Denkweisen und Strategien aus der Schulwelt – zum Schaden der Buben – ausgeschlossen, meint FACTS. Sie mache sich schon lustig über jeden, der mit irgendwelchen biologischen Unterschieden argumentiert. Ist ein Kind «Biomasse», die frau in die Richtung formen kann, die ihr beliebt?
Müller: Ich mache mich nicht lustig, ich kritisiere. «Biologistisch» ist ein Begriff der Kritik, ich kritisiere, wenn man reduziert. Wenn man ein körperliches Differenzmerkmal als ursächlich für ein Verhalten nimmt. Ich habe mit Lehrerinnen gesprochen, die ganz klar sagten, die Aggressivität liegt in den Genen der Knaben. Jetzt stellen Sie sich einmal vor, wie eine solche Person dann umgeht mit Unterrichtsstörern. Wie nimmt sie die anderen wahr, die ruhigen Knaben und Mädchen?

FACTS: Pippi Langstrumpf hatte aber gar keine Freude an ihrer kurzen Schulerfahrung. Vielleicht auch, weil sie – wie viele Buben – nicht mag, dass man alle Probleme verbal ausdiskutieren muss.
FACTS: Warum sollte Ihre Theorie nicht ideologisch sein?
Müller: Da müssten Sie mir sagen, was
die gesellschaftliche Zielsetzung meiner Theorie ist.
FACTS: Sie sprechen von Gleichstellung und meinen Gleichmachen.
Müller: Ich sage, man muss die Differenzen ernst nehmen, und zwar auch die Differenzen, die mehr sind als der Geschlechterunterschied. Wenn ich auf Gleichmacherei zielen würde, dann wäre der Ideologieverdacht berechtigt. Dann müsste man nachweisen,
welches gesellschaftliche Resultat eine Theorie hat.
FACTS: Das könnte beispielsweise der mangelnde Schulerfolg der Buben sein. Die Maturitätsquote nach Geschlechtern etwa, bei der die Frauen die Männer deutlich hinter sich gelassen haben.
Müller: Da kann man einiges dazu sagen. Eine Maturandenquote von unter zwanzig Prozent ist verdammt wenig für eine Gesellschaft, die auf Wissen als Ressource setzt. Dann muss man fragen, woher kommen diese zwanzig Prozent? Wird da vielleicht nur das soziale Milieu reproduziert?
FACTS: Da spricht der Geschlechtertrend sehr dagegen. Dann müssten deutlich mehr Männer die Matur machen.
Müller: Das kann man aus so einer Statistik nicht herauslesen, aber man müsste untersuchen: Wo finden da die Brüche statt? Dazu müsste man auf der Primarstufe nachsehen; da ist der Hund begraben.
Und wie:

Dazu Buben in der Defensive FACTS 26/2003, 26.6.03
30 Jahre Mädchenförderung in der Schule zeigen Resultate: Der Unterricht benachteiligt inzwischen die Buben. Von Daniel Blickenstorfer

Es gibt Sachen, wo die Mädchen schon besser sind als die Buben», sagt Simon im Klassenrat der Viertklässler im Winterthurer Schulhaus Guggenbühl, «nämlich Waschen und Kochen und so.» Die Mädchen protestieren lautstark, einige Buben grölen; mit stereotypen Rollenbildern macht man keinen Staat mehr heute, schon gar nicht, wenn man zehn ist und das Leben noch vor sich hat.

Zweites Thema im selben Klassenrat: Angela sagt, die Buben könnten «besser streiten und so». «Das ist ein interessantes Thema», sagt die Klassenlehrerin Christina Zwygart, «wie streitet denn ihr, die Mädchen?»

Angela: Lieber mit Wörtern ...
Lehrerin: Und die Buben?
Angela: Eher mit Fäusten, Schubsen ...
Josip (aufgebracht): Also wegen den Schlägen! Wir Buben lassen uns eben leicht produzieren ...
Lehrerin: Provozieren.
Josip: Jaa, isch doch mir scheissegal ...
Lehrerin (bestimmt): Es ist eben etwas anderes!
Josip: Ja, dänn halt ... (Mädchen lachen) ... darum sind wir einfach aggressiver, wenn sie uns Wörter sagen, dann schlagen wir halt zu. So sind wir halt.
Lehrerin: Was passiert, wenn du zuschlägst?
Josip: Dänn fangt die ander aa hüüle ... (Mädchen lachen)
Lehrerin: Das heisst, wenn du ein Problem hast, dann schlägst du drein, einfach weil «so sind wir halt»?
Josip: Nein, nein, sicher nicht (allgemeines Durcheinander), ich weiss nicht, wer jeweils anfängt, aber wenn sie uns freche Wörter sagen, dann noch frecher werden ...
Lehrerin: Dann?
Josip: Dänn schlömmer drii, dänn hüüleds, gönd zur Lehrerin und mir bechömed e Ströfzgi ...»

Damit ist das Problem der Buben in der Schule auf den Punkt gebracht. Die Buben gelten im Schulbetrieb als Problem. Deshalb werden sie bestraft, diszipliniert und nötigenfalls mit dem umstrittenen Ritalin ruhig gestellt. Das alles, weil seit 30 Jahren festgestellt wird, dass die Frauen in der Berufswelt benachteiligt sind. Deshalb fördert die Schule konsequent die Stärken der Mädchen. Und benachteiligt systematisch die Buben. Buben sind die Opfer des feministischen Geschlechterkampfs geworden, der die Erwachsenen meint und die Kinder trifft.

Zum Glück geht Josip bei Christina Zwygart zur Schule. Anders als die meisten ihrer Berufskolleginnen ist sie bereit, die Wesensart der Buben als Faktum zu akzeptieren, und kritisiert sie nicht als Resultat einer missglückten Sozialisation: «Früher habe ich viel mehr an die Sozialisationsthese geglaubt. Heute sehe ich mehr Archetypisches. Die Geschlechter können und sollen sich ein Stück angleichen, und ich bin froh, dass ich als Frau heute mehr Wahlfreiheiten habe. Aber warum müssen wir uns gleichmachen? Der Instinkt, die Art der Problembewältigung, die Denkstrukturen von Mädchen und Buben sind verschieden.»

Alles nur Gender! – entgegnen im Brustton der Überzeugung die Vertreterinnen der seit den Siebzigerjahren dominierenden Pädagogik. Die biologischen Unterschiede zwischen Mädchen und Buben sind demnach bedeutungslos; nur das soziale, «anerzogene» Geschlecht spielt eine Rolle. Eine Blüte aus der feministischen Gender-Diskussion aus der Feder der Autorin Veronika Merz: «Jungen im Schulalter fühlen sich in ihrer Geschlechtsidentität eher unsicher, wissen aber, dass sie zu jenem Geschlecht gehören, das im patriarchalen Umfeld als überlegen gilt und in der Hierarchie höher steht. Jungen betonen deshalb Verhaltensweisen, die ihre Männlichkeit unter Beweis stellen.»

Frage an Ingrid Ohlsen, Erziehungswissenschaftlerin und Leiterin der Kommission Gleichstellung an der Pädagogischen Hochschule Zürich: Sind Buben und Mädchen auf Grund ihrer Biologie wesensverschieden?

Ingrid Ohlsen: «Das sind sie eindeutig. Der Punkt ist nur: Wie stark wird der Unterschied gemacht? Und wozu? Die Geschichte zeigt, dass er nach wie vor mit stereotypen Rollenbildern und gesellschaftlichen Standards betont wird.»

Könnte es sein, dass Buben mehr Bewegung brauchen, um denken zu können?

Ohlsen: «Das kann gut sein. Es ist aber auch so, dass Mädchen viel Bewegung brauchen. Wir wenden uns ganz klar gegen die Stereotypisierung. Wir sehen aber auch, dass es genau genommen innerhalb der Geschlechter viel grössere Unterschiede gibt als zwischen Mädchen und Knaben.»

Die Einwände von feministischer Warte lassen ausser Acht, dass auch die Mustermädchen aus ihrer Sicht, die Bewegungshungrigen, Frechen, die so genannten Pippi Langstrumpfs, mitprofitieren würden, wenn der Unterricht der Mehrheit der Buben gerechter würde. «Heute besteht das Problem, dass die spezifischen Bedürfnisse der Buben gar nicht mehr reflektiert werden», entgegnet der Psychoanalytiker und Erziehungswissenschaftler Allan Guggenbühl. «Jetzt zeigen sich die Probleme der emanzipatorischen Vorstellung der Gleichheit der Geschlechter: Vieles, was die Schule anbietet, entspricht den Mädchen besser. Deshalb sind sie auch ruhiger und kooperativer. Die Buben aber rebellieren, weil das System für sie nicht stimmt. Und was macht man? Neuen Druck, neue Repression, neue Pathologisierung. Die Sozialisationsthese ist reine Ideologie und hat Schiffbruch erlitten. Nur wird die Diskussion darüber in der Schweiz verweigert.»

Das sind die Stärken der Buben (zahlreiche Mädchen haben sie inzwischen auch), die man hier zu Lande einmal neu bewerten müsste: das Kämpfen, der Bewegungshunger, der Ehrgeiz, der Mut, die Risikobereitschaft.

Natürlich spielen Vorbilder auch eine Rolle, räumt Guggenbühl ein, aber nicht derart, dass sie unverrückbare Dispositionen prägen. «Die Eltern von heute sind als Generation mit der Emanzipation aufgewachsen, nicht mit den Klischees der Fünfzigerjahre.»

Christina Zwygart hat acht Jahre Berufserfahrung. «Im Seminar haben wir überhaupt nichts erfahren über die Verschiedenheit von Buben und Mädchen. Wir hörten nur immer: Buben sind aufwändiger. Woher aber das kommt und welche Strategien dagegen helfen, wurde nie diskutiert.»

Als sie vor einem Jahr ihre neue Klasse übernahm, hatte sie enorme Probleme: «Der Wechsel von der dritten in die vierte Klasse ist ein Riesenschritt: Das Pensum steigt von 22 auf 26 Lektionen, es gibt viel mehr Ganzklassenunterricht, der einzelne Schüler bekommt weniger Aufmerksamkeit.» In ihrer Klasse wirkte sich das extrem aus: «Die Buben haben saublöd getan, trugen Hahnenkämpfe aus, einige fühlten sich nur angesprochen, wenn ich mich zu ihnen hinsetzte.» So konnte es nicht weitergehen.

Inzwischen hat sie sich intensiv mit dem Thema auseinander gesetzt. Und dabei gelernt, dass Buben anders sind als der ungeschlechtliche idealtypische Schüler, den man ihr am Semi vorgegaukelt hat. Sie hat Buben und (selbstverständlich auch) Mädchen erlaubt, während der Stunde Wasser zum Trinken zu holen am Lavabo im Zimmer. Sie hörte darauf den Einwand «aber da könnten sie ja ein anderes Kind stören». Nichts dergleichen geschah: «Ich habe beobachtet, dass drei Viertel der Kinder, die das Angebot benutzen, Buben sind. Sie sind danach konzentrierter, weniger ablenkbar.»

Wenn Schulhäuser überfordert sind mit Gewaltproblemen, wird sehr oft Allan Guggenbühl zur Krisenintervention gerufen. Er hat festgestellt, dass «Lehrerinnen das Problematische am Verhalten der Mädchen oft gar nicht erkennen. Wir haben jetzt 20 Interventionen gemacht in der Schweiz und in Schweden und festgestellt, dass sogar mehrheitlich die Mädchen am Anfang der Probleme standen Es beginnt etwa mit subtilen, verbalen Hänseleien gegen einen Buben. Die Mädchen stacheln andere Buben zur Aggression an, der gehänselte Bub wird geschlagen, will nicht mehr zur Schule. Guggenbühl: «Das Problem ist, dass in solchen Fällen immer die Buben in eine Therapie müssen, in eine Beratung, Medikamente nehmen ...»

An diesem heissen Juni-Morgen steht die Zimmertür der vierten Klasse von Christina Zwygart offen. Ein kühlender Luftzug kommt vom Schulhof und trägt Wortfetzen und Hammerschläge einer Klasse herein, die ihre Werkstunden im Freien austrägt. Die vierte Klasse von Christina Zwygart arbeitet konzentriert am Thema «Mensch und Umwelt, unsere fünf Sinne». Nach der Pause hatte Lehrerin Zwygart die Stunde mit einer Bewegungsübung eröffnet.

Das ist das pure Gegenteil einer Unsitte, die viele Lehrpersonen eingeführt haben: Die Kinder müssen während der Pause in den Klassenzimmern bleiben – weil die Lehrerschaft sonst bei Unterrichtswiederbeginn viel Zeit mit Disziplinierung verliere, lautet jeweils die Begründung für das faktische Bewegungsverbot. An Besuchstagen können Eltern dann sehen, wie ihre Söhne (und vereinzelte Töchter) wie eingesperrte Raubtiere in den Klassenzimmern rumtigern, ein Schubser da, eine Provokation dort.

Remo Largo, Kinderarzt und renommierter Buchautor («Babyjahre», «Kinderjahre») hält ein Einsperren der Kinder während der Pausen für einen «neuen Tiefpunkt der Pädagogik. In China weiss man, dass es zwischendurch Entspannung und Bewegung braucht. Bei uns müssen die Kinder schon während des Unterrichts 45 Minuten ruhig hocken, und nicht einmal das wird je sinnvoll begründet.»

Man muss auch akzeptieren, sagt Largo, «dass Buben physischer sind, so wie man nicht bestreiten kann, dass Mädchen verbal kommunikativer sind». Denn Bewegung gehört bei den Buben – viel stärker als bei den Mädchen – zur Kommunikation. Das hat auch Christina Zwygart festgestellt. «Die Buben haben eine ganz andere Kommunikation. Sie gehen ganz stark über den Körper. Ich habe bemerkt, dass ich erstaunlich viel bewirken kann, wenn ich einem Buben für eine gute Leistung mal auf die Schultern klopfe. Das entspricht mir, ich muss deswegen nicht aus meiner Haut als Frau.»

Einer der Schüler von Christian Zwygart hatte eine «Strickphobie». Ob «Stereotype» oder «Biologie» dafür verantwortlich waren, wurde nie schlüssig geklärt, jedenfalls musste der Junge beim Stricken immer erbrechen. «Es gab unzählige Gespräche mit der Mutter und der Handarbeitslehrerin, bis er endlich dispensiert wurde.» Da sagte sich die Lehrerin: «Ich bin für die Gleichberechtigung, aber es muss eine Haltung sein. Manuell und feinmotorisch sind Buben und Mädchen verschieden. Warum muss ein Mädchen beim Fussball mitmachen, wenn es Angst vor dem Ball hat?» Den Mädchen bietet sie dafür Gummi-Twist, Tücherjonglieren und Ballwerfen an – die Mädchen sind absolut glücklich.

Zwygart ist froh darüber, einen männlichen Stellenpartner zu haben, der sich das Klassenpensum mit ihr teilt: Er ist für das sterotype Männliche zuständig, «das Raufen auf der Schulreise, das Rohren beim Fussball, aber er hat auch den Körperbau und die Stimme eines Mannes». Er könnte den Buben ein Vorbild sein.

Ein Samstag in Zürich, 150 Lehrerinnen, Sozialarbeiter und Schulbehördenvertreterinnen sind zu einer «Impulstagung» des Netzwerks für Schulische Bubenarbeit gekommen. Etwa 30 Prozent von ihnen heben die Hand, als sie gefragt werden, ob sie hier seien, weil sie «einige Buben auf den Mond schiessen möchten». Ziel der Bubenarbeit, heisst es im Programm, sei es, «den Jungen an Stelle der herkömmlichen Männerstereotype ein lebensfreudiges und lebenstüchtiges Selbstbild zu vermitteln». Im Workshop F – «Heute Buben – morgen Männer» – zeigt der Lehrer und Erwachsenenbildner Hans-Jürg Sieber einen ganzen Stapel von Pressebildern, die den Buben angeblich ungeeignete Vorbilder auf den Weg geben: erfolgreiche Männer, starke Männer, kämpferische Männer ... und ein Titelbild von FACTS: «Alinghi-Chef Bertarelli: Kämpfen bis zum Umfallen». – Was ist daran schlecht? Sollten Buben nicht kämpfen dürfen? – Der Referent ist etwas verlegen, er hatte offenbar nicht damit gerechnet, dass einige Workshop-Teilnehmer fürs Kämpfen kämpfen wollen.

30 Jahre feministisch dominierte Didaktik  hat in unseren Lehrerzimmern Spuren hinterlassen. «Ein Junge», schreibt die amerikanische Autorin Christina Hoff Sommers, «fühlt sich heute ohne eigenes Dazutun ständig angeschuldigt, die Mädchen zu benachteiligen.» Der englische Highschool-Pädagoge Martin Spafford geht noch weiter: «Buben fühlen sich ständig attackiert für das, was sie sind. Wir haben in der Schule eine Stimmung entwickelt, wonach Männlichkeit etwas Schlechtes sei.»

Erziehungswissenschaftler Allan Guggenbühl sagt: «Das Kämpferische ist doch in erster Linie eine Qualität. Kämpfen heisst nichts weniger, als etwas erreichen wollen. Unsere Aufgabe ist sicherzustellen, dass dies beiden Geschlechtern gleichwertig offen steht.»

«Grenzen verletzen» – auch da liegen die Buben deutlich vorne. «Regeln aufstellen und die Mädchen danach handeln lassen, ist für eine Lehrerin kein Problem», sagt Christina Zwygart. «Bei den Buben dagegen ist es extrem anstrengend. Sie begreifen Regeln erst, wenn ich sie immer wieder daran erinnere und sie konsequent durchsetze.» Lange Zeit hat sie dies nicht verstanden. «Heute sage ich mir, das gibt den Buben die nötige Reibungswärme.» Ein Kommunikationserlebnis, könnte man auch sagen. Darüber hinaus bringt das Verletzen von Regeln auch einen Erkenntnisfortschritt. Kinder, besonders Buben, sind extrem interessiert an der Reaktion des Gegenübers. Und, was vielfach vergessen wird: Verletzung von geltenden Regeln ist auch der Anfang allen Forschens und daraus gewonnener Erkenntnisse. Deshalb müssen Buben immer wieder Bäche stauen (bis zum Überlaufen), Abkürzungen erfinden (bis zum Brennnessel-Kontakt) und Kirschen stehlen (bis der Bauer auftaucht).

Klassenrat der vierten Klasse im Winterthurer Schulhaus Guggenbühl; reden darf nur, wer den blauen Gummiball in den Händen hält.

Larissa: Knaben können auch recht viel, aber ich glaube, die Mädchen singen viel lieber als die Knaben, und darum tönt es dann auch besser.
Lehrerin: Du findest also, man sollte den Begriff «besser» vermeiden und eher von Unterschieden sprechen?
Larissa: Ja, auch beim Zeichnen. Die Knaben zeichnen nicht Blumen und so ...
Ein Bube: Ja und?
Larissa: Die Knaben zeichnen krasse Sachen ...
Lehrerin: Krasse Sachen? Was meinst du damit? (Buben lachen)
Larissa: Krieg und so, die sind ja nicht so schön gezeichnet ... (Buben räuspern sich lautstark)
Lehrerin: Ja, aus deiner Sicht.
Larissa: Ja, zum Beispiel wenn wir Mädchen Tiere zeichnen, dann sind die anders. (Lehrerin stimmt zu)
Ein Bube: Ja, wie anders? Wie anders? Hä?
Larissa: Ja, ihr zeichnet immer Blut, Kreuze und ... (lautstarkes Durcheinanderrufen)

Asdreni (wütend): Sie, gopf, ich streck scho sit ere halb Stund uf!
Ein Bub: Es muss nicht immer Blut sein ...
Lehrerin: Moment! Den Ball hat immer noch Larissa.
Larissa wirft den Ball Simon zu.
Simon: Also Larissa hat gesagt, wenn wir etwas zeichnen, findet sie es nicht schön. Also wir finden es auch nicht schön, wenn sie zum Beispiel ein Tier zeichnet ... (einige Buben und Mädchen lachen).

«Buben sind sehr gern kleine Helden», weiss Christina Zwygart. Sie findet nichts Schlechtes dabei und überlegt sich, wie sie ihnen dieses Gefühl geben kann. Verantwortung übergeben, heisst die Lösung, auf der Schulreise fürs Feuer, im Schulhaus für den Turnhallen-Garderobenschlüssel, auf dem Schulhausplatz für kleinere Kinder: «Wenn eine Junge spürt, was er einem kleineren Schüler geben kann, indem er ihn zum Fussball mitnimmt, dann hat er auch soziale Kompetenz gewonnen, wie man sie Mädchen zuschreibt.»

Christina Zwygart ist gewiss nicht die einzige Lehrerin, welche die speziellen Bedürfnisse von Mädchen und Buben befriedigen möchte. Aber es ist eine «verfraulichte Landschaft», in der sie sich bewegt. Der Anteil männlicher Primarlehrer beträgt im schweizerischen Mittel gerade noch 29 Prozent. Und er wird noch weiter sinken, wenn man die Geschlechterquoten an den Pädagogischen Hochschulen sieht. Das «weibliche Biotop Schule», wie es Allan Guggenbühl nennt, ist längst Realität.

Ingrid Ohlsen von der Pädagogischen Hochschule Zürich ist «unbedingt dafür, dass wieder mehr Männer in die Schule kommen. Ganz einfach, weil es noch so ist, dass es dem Ansehen der Schule nützt». Aber auch der Geschlechterdebatte wäre es nur förderlich: «Wir haben uns 20 Jahre lang sehr intensiv mit Migrationskindern beschäftigt, und die Geschlechterfrage war vom Tisch. Die angehenden Lehrerinnen und Lehrer wollen diese Debatte auch nicht hören. Wir erklären uns das so, dass sie in einem Alter sind, in dem man sich mit einem Partner zusammentut; sie haben wenig Lust, das eigene oder das andere Geschlecht analytisch zu betrachten. Sie müssen jedoch: Schule ist doing gender. Das zeigt sich in den Leistungen und Interessen von Mädchen und Knaben

Das Resultat dieser Indifferenz schlägt schon in der Primarschule durch: Die Buben stellen rund zwei Drittel der Sonderpädagogikklassen. Weit mehr Buben als Mädchen müssen eine Klasse wiederholen. Die mangelnde Honorierung spezifischer Bubenstärken spielt eine unbestreitbare Rolle dabei. In der Mathematik haben die Mädchen aufgeholt. In der Sprache sind sie nach wie vor überlegen. All das, was die Buben besser können (Turnen, Computeranwendungen, experimentelles Lernen), wird kaum je in Noten ausgedrückt, die für die Promotion zählen.

Beim Übertritt in die Oberstufe wird es dramatisch. « Knaben sind die schlechteren Schüler », titeln dann die Regionalzeitungen und übersehen die Hintergründe. Im Schuljahr 2000/2001 hatten an der Kantonsschule Zürcher Unterland in Bülach 35 von 80 Buben die Probezeit nicht bestanden; bei den Mädchen waren es 12 von 79. Rektor Felix Angst und seine Lehrer gingen der Sache nach: «Mädchen sind in dem Alter reifer, entwicklungsmässig viel weiter und ansprechbarer. Buben machen derweil Schwammschlachten, tragen Rangkämpfe aus und können ihr Potenzial in der Probezeit nicht entfalten.» Für den Rektor liegt einiges in der Natur der Buben: « Ehrgeiz, Wettkampf, Challenge ist typisch für die Buben . Es könnte tatsächlich sein, dass sie in der Primarschule benachteiligt  sind, weil diese Eigenschaften nicht mehr gefördert werden. »

Die Schule erarbeitete einen Massnahmenkatalog. Erste und wirkungsvollste Massnahme war die Reduktion der Klassengrösse von 27 (bis 29) auf 24. Weiter wurden den neu eintretenden Schülern Arbeitstechniken vermittelt, die hauptsächlich die männlichen Schüler in der Primarschule nicht gelernt hatten: Ordnung halten am Arbeitsplatz und in der Mappe zum Beispiel. Den Eltern wurden Ratschläge erteilt, wie sie zum Schulerfolg ihrer Kinder beitragen können: «Gezielteres Fernsehen war so ein Tipp.» Die neuen Erfolgsquoten können sicher nicht allein mit diesen Massnahmen erklärt werden; dennoch: Im letzten Jahr reüssierten beide Geschlechter genau gleich.  Von 147 Mädchen, die sich zur Prüfung angemeldet hatten, bestanden 67 die Probezeit erfolgreich, bei den Buben waren es 58 von 126 (je 46 Prozent). Was sich nicht verändert hat: Die Buben sind immer noch erfolgreicher in der Aufnahmeprüfung, die Mädchen dagegen in der Ausdauer erfordernden Probezeit.

Am Schluss der Gymnasialzeit ist die Landkarte des Schulerfolgs noch weiblicher gefärbt. Bis 1990 machten mehr Männer als Frauen eine Matur am Gymnasium, seit 1995 liegen die Frauen immer deutlicher vorne. 2001 schafften Frauen bei der Maturitätsquote locker das Ständemehr, nur drei Kantone und zwei Halbkantone liefern noch Männerüberschüsse. Krass ist das Resultat in Appenzell Ausserrhoden: 21,3 Prozent aller Frauen machten eine Matur, aber nur 9,7 Prozent der Männer. Willi Eugster, Rektor der Kantonsschule Trogen: «Die Anforderungen, die beim Übertritt ins Gymnasium gestellt werden, kommen den Mädchen eindeutig entgegen. Man muss aber auch sehen, dass die Ausbildungsmöglichkeiten für Buben gerade in ländlichen Gebieten bedeutend vielfältiger sind.» Gerade diese Woche aber gibt das Bundesamt für Statistik im Bericht «Bildungswunsch und Wirklichkeit» zu bedenken: «Frauen haben eine rund doppelt so hohe Chance wie Männer, in allgemeinbildende Schulen (Gymnasium oder Diplommittelschule) überzutreten.»

Simon, der Viertklässler aus Winterthur («Frauen können besser kochen»), ist nicht auf den Mund gefallen.

Lehrerin: Simon, aber deine Eltern teilen sich doch die häusliche Arbeit und auch im Geschäft ...
Simon: Döf i öppis säge?
Lehrerin: Okay.
Simon: Min Vater bschtellt immer Pizza bim Pizzablitz. (allgemeines Gelächter)
Lehrerin: Und was macht deine Mutter?
Simon: Sie kocht immer Fisch ... (einige Kinder machen «wäääh!») und so Sachen ... Mein Vater macht das zack! zack! zack am Telefon ...
Lehrerin: Wie würdest du es denn machen?
Simon: Pizza bestellen!

Simon lacht, und einige Mädchen lachen mit ihm  - damit ist Ke, die Kommunikation zu diesem Thema etabliert,   und FACTS meint psycho poliltisch korrekt :

Es besteht Hoffnung, dass sich diese Buben und Mädchen einmal ganz anders organisieren werden, als es die offizielle Pädagogik für sie vorgesehen hat .

So weit haben wir uns mit der Ignoranz der Warnung vor dem Begriffsdenken an sich  gebracht; dass man nur noch darauf hoffen kann, diese Buben und Mädchen werden den Weg in die Zukunft weisen...

Man wird sich vielleicht bei den übernächsten Wahlen dafür einsetzen, solche Buben und Mädchen ins Parlament wählen zu lassen, nachdem die Erwachsenen dermassen versagt haben - und falls nicht vorher ein Führer die Macht übernommen hat, bzw. die Volksinitiative für eine WissenSchaft mit Zukunft ihre Chance bekommen hat .